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 Enfant perdu 26.08.2004 (15:10) Silke
Hallo,
ich muss ein Referat über Heine schreiben und "Enfant perdu" interpretieren. Könntet ihr mir vielleicht ein paar Fragen beantworten? Manche Dinge verstehe ich nicht so ganz...

In dem Gedicht lassen sich sechs Enjambements (Zeilensprünge) finden. Wenn es so viele sind, muss das doch eine Bedeutung haben, oder? Ich weiß nur nicht welche. Zeigt das vielleicht Heines Unruhe weil er nicht schlafen kann?
Dann ist zwei mal ein Satz in Klammern geschrieben (Zeilen 7+8, 10), was bedeutet das?
Und dann noch was: "eine warme, brühwarme Kugel", "es verströmt mein Blut", "nur mein Herze brach", verspottet er damit die Romantiker? Das alles ist ja ein bisschen übertrieben.

Vielen Dank schon mal wenn ihrs beantwortet.
Gruß Silke
 Re: Enfant perdu 06.09.2004 (13:50) Robert
Hallo Silke,
na endlich mal jemand, der nicht dummfaul nach einer Interpretation fragt, sondern sich selbst Gedanken macht und konkrete Fragen stellt!
Ich versuche mal, ob ich ohne längeres Nachdenken oder Nachblättern etwas zur Beantwortung beisteuern kann ...
Zu den Enjambements: Mir scheint es eher nicht darum zu gehen, daß das lyrische Ich als (im übertragenen Sinn) Kämpfer im Freiheitskrieg nicht schlafen kann. Rein technisch liegt es an dem fast schon erzählerisch-epischen Charakter des Gedichts (das ja berichtet, wie es ist bzw. war), daß die Sätze länger geraten als die Verse. Und dann wird dadurch natürlich eine gewisse Dynamik erzeugt, die gut zum Inhalt, dem revolutionären Kampf, paßt.
Sätze in Klammern: Der erste Klammersatz würde ohne Klammern einfach den erzählerischen Fluß stören, da es ja tatsächlich eine Art Nebenbemerkung ist. Für beide Klammern gilt, daß dort eher das passiert, was auf dem Theater "beiseite sprechen" heißt: Figur A sagt etwas zu Figur B, dreht sich dann seitwärts (oft zum Publikum)und sagt etwas, das das Gespräch kommentiert und, als wären es seine Gedanken, vom Gesprächspartner nicht gehört wird. So ähnlich funktioniert es auch hier: Einmal berichtet das lyrische Ich ein sehr menschliches, unheldenhaftes Detail (das Schnarchen der Kameraden), dann kommentiert er sein Verhalten ("nur Narren fürchten nichts").
Pathos: Ich glaube, alle diese Formulierungen sind ziemlich ernst gemeint (was bei Heine nicht sehr oft vorkommt): Geschrieben hat er es, als er todkrank und gelähmt auf den Tod wartete. Es ist eine Art Testament, das belegt (wenn man das lyrische Ich mit dem Autor Heine identifiziert, was schwierig ist, aber hier ziemlich naheliegt: Als letztes Gedicht im sehr persönlichen Lazarus-Zyklus des "Romanzero" hat das Gedicht etwas sehr Herausgehobenes und Programmatisches) wie sehr Heine sein Lebenswerk als Beitrag zum Freiheitskampf gesehen hat - nicht gegen Napoleon, denn "Freiheitskriege" hießen die Kämpfe gegen Napoleon 1813-1815, sondern gegen die Adelsherrschaft und für die bürgerliche Demokratie.
Wichtig ist übrigens der Titel: "Enfant perdu", was ja wörtlich "verlorenes Kind" heißt, bezeichnet in der militärischen Fachsprache einen Vorposten, der so weit vor der eigenen Front liegt, daß damit zu rechnen ist, daß er nicht heil zurückkommt, sondern dem Feind zum Opfer fällt, "verlorener Posten" wäre wohl die deutsche Entsprechung. Das heißt: Der Kampf, von dem das Gedicht handelt, ist für den einzelnen hoffnungslos, aber Teil eines wichtigen, vielleicht erfolgreichen Gesamtzusammenhangs.
Ich hoffe, das hilft Dir weiter!
Robert
 Re: Enfant perdu 08.09.2004 (12:04) silke
Hallo Robert,
vielen vielen Dank für das Beantworten meiner Fragen, jetzt hab ich endlich eine Meinung von jemandem, der Ahnung von Heine hat. Es ist schwer wenn man sich beim Interpretieren nur auf sein eigenes Gefühl verlassen muss.

Gruß Silke

PS: Ich konnte ein paar Tage nicht ins Internet, deshalb konnte ich nicht eher zurück schreiben.
 Eigenes Gefühl 10.09.2004 (14:18) Robert
Hallo Silke,
ach, das eigene Gefühl ist doch eigentlich die entscheidende Sache beim Verstehen und Interpretieren von literarischen Texten.
Wobei sich ein Text "nur so für sich" natürlich anders liest, als wenn man ihn in ein Werk oder in Bild von einem Autor einfügen kann.
Freut mich, wenn Du mit meinen Ideen was anfangen konntest!
Viele Grüße
Robert
 Re: Eigenes Gefühl 10.09.2004 (14:42) Silke
> Hallo Silke,
> ach, das eigene Gefühl ist doch eigentlich die
> entscheidende Sache beim Verstehen und Interpretieren von
> literarischen Texten.
> Wobei sich ein Text "nur so für sich" natürlich anders
> liest, als wenn man ihn in ein Werk oder in Bild von
> einem Autor einfügen kann.
> Freut mich, wenn Du mit meinen Ideen was anfangen
> konntest!
> Viele Grüße
> Robert
Naja, eigentlich hast du Recht, ein Gedicht sollte ja Spaß machen zu lesen und jeder hat, denke ich, ein anderes Verständnis davon.
Nur, wenn man ein Gedicht in der Schule interpretieren muss, ist es manchmal so, dass man mit seiner Meinung alleine da steht und dann heißt es: nein, leider ist das so nicht richtig. Deshalb finde ich es gut, noch eine andere Meinung gehört zu haben, gerade, wenn man sich nicht sicher ist.
Ich finde, vor allem bei diesem Gedicht kann man viel falsch interpretieren (z.B. die zweite Strophe) weil fast alles ja eigentlich nur auf Heines Leben bezogen ist.

Gruß, Silke


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